Sonntag, 20. Dezember 2015

Morgens vor neun im Hamburger Rathaus: Die Diele ist leer, der Wichernsche Adventskranz versteckt, der Tannenbaum fehlt

Berufsbedingt bin ich gelegentlich im Hamburger Rathaus, im Gegensatz zu meinen Chefs und Blaumännern allerdings selten früh am Tag. So überraschte es mich denn, dass die Rathausdiele morgens vor neun Uhr vollkommen leer vor mir lag.

Das ist selten, denn normalerweise stehen in der Diele Ausstellungen oder um dieses Jahreszeit ein großer geschmückter Tannenbaum. Später am Tag sind dann auch viele Besucher im Rathaus.

Blick in die Diele des Hamburger Rathauses von der Senatsseite aufs Bürgerschaftsgehege.
Das Rathaus wurde zwischen 1884 und 1897 erbaut - insgesamt vergingen zwischen den ersten Planungen des Neubaus und seiner Einweihung sogar 43 Jahre (da jammere noch mal einer über die Bauzeit des Elbviehs der Elbphilharmonie).

Zentraler Raum des Erdgeschosses ist, wie bei einem Althamburger Bürgerhaus, die Diele. Sie ist quasi die Fortsetzung der Straße, also fast noch öffentlicher Raum. Im Althamburger Bürgerhaus erstreckte sich die Diele zwischen Straße und Fleet, war also lang und schmal.

Hier wurden Besucher empfangen und Waren angenommen oder ausgeliefert. Die Waren kamen mit Flaschenzügen gleich weiter unters Dach auf den Speicher (oder vom Speicher in die Diele und auf Kutschen). Die Besucher kamen ins Kontor oder in die gute Stube im ersten Stock.

Die Rathausdiele. Das Stehpult dient der Zugangskontrolle für das Senatsgehege. 
In der Rathausdiele sitzen Ratsdiener und Pförtner, gibt es eine Information, starten Führungen, sind einige Büros sowie die Garderobe und der Zugang zum Ratsweinkeller und die Zugänge zu den Räumlichkeiten von Senat und Bürgerschaft. Hamburg ist ja gleichzeitig Stadt und Staat. Die Bürgerschaft ist das Landesparlament, der Senat ist die Landesregierung.

Die Mehrheit der Büros findet sich aber im Obergeschoss, ebenso wie repräsentative Veranstaltungsräume - den einen oder anderen zeige ich Dir bei Gelegenheit mal.

Kleine Besprechungsnische im Senatstreppenhaus.
Die Diele symbolisiert auch das Regiment der Hamburger Bürger: Andres als in Herrschaftshäusern üblich, soll der Bürger hier nicht zu den Herrschenden hinaufsteigen müssen. De facto aber steigt der Bürger hinauf, egal, ob er zum Senat oder in die Bürgerschaft will.

Auf den Säulen der Diele befinden sich übrigens Portraits verdienter Hanseaten (und tatsächlich auch von vier Hanseatinnen). Die zeige ich Dir sicher später mal.

Der Wichernsche Adventskranz steht versteckt im Aufgang zum Senat.
Etwas versteckt, rechts im Treppenhaus, das zum Senat führt, steht in diesem Jahr ein Wichernscher Adventskranz. Hamburg nimmt ja gerne für sich in Anspruch, dass der Adventskranz hier erfinden wurde. Das stimmt bedingt.

1839 stellte der evangelisch-lutherische Theologe, Erzieher und Mitbegründer der Inneren Mission, Johann Hinrich Wichern, in einem alten Bauernhaus, dem Rauhen Haus, einen Kranz (damals noch ein Wagenrad) mit vier großen weißen Kerzen und 18 bis 24 kleinen roten Kerzen auf, weil die Kinder, die Wichern in seiner Obhut hatte, immer wieder fragten, wann Weihnachten sei.

Jeden Tag durfte nun ein Kind eine weitere Kerze anzünden, und an den Adventssonntagen wurden die großen Kerzen angezündet, so dass die Kinder die Tage bis Weihnachten abzählen konnten.

Der Wichernsche Adventskranz
Bis heute findet sich der Wichernsche Adventskranz im Michel und im Rauhen Haus (und in diesem Jahr eben auch im Rathaus).

Vom protestantischen Norddeutschland aus verbreitete sich der Wichernsche Adventskranz in die katholischen Gefilde. Dort war man pragmatischer, ließ die kleinen Kerzen weg, nahm nur vier große für die Adventssonntage und befand, Tannengrün sei doch netter als ein Wagenrad.

Knapp 100 Jahre, nachdem Wichern den ersten Adventskranz aufstellte, findet sich zum ersten Mal ein Kranz in einer katholischen Kirche, 1925 in Köln. Von dort breitete sich dann der Kranz mit den vier Kerzen aus, und der Wichernsche Kranz geriet weitgehend in Vergessenheit.

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